Das Fluchttier in mir

Irgendwann vor einer Ewigkeit hatte ich auch mal einen ziemlich verlässlichen Fluchtinstinkt, so wie die Pferde bei denen ich heute wieder war. Doch irgendwann bevor ich überhaupt wusste, was ein Pferd ist, hat man mir diesen wohl abgewöhnt. Flucht ist eben nicht neurotypisch (NT). Der NT folgt schon eher einem wenn auch subtilerem Kampfinstinkt. Für mich jedoch ist Blickkontakt oft schon eine Kampfansage. Frontale Begegnungen mit Handschlag kaum auszuhalten und ungewöhnliche Geräusche oder Bewegungen versetzen mich in höchste Alarmbereitschaft. Flucht ist immer der erste Gedanke. Ich werde eben immer ein Fluchttier bleiben. Die wirklich überraschende Erfahrung für mich war und ist immer noch, dass, wenn ich auf dem Pferd sitze, ich fast sofort eine Art Entspanntheit erfahre, die ich sonst nicht kenne und herbeiführen kann. Alle Panik und jede Aufgeregtheit ist wie weggeblasen. Hinzu kommt, dass ich meinen Körper überall dort spüre, wo ihn das Pferd berührt. Ich habe seitdem eine minimale Idee davon, wie Gleichgewicht wirklich hergestellt wird. Ich muss nicht schauen, wo ich bin, ich weiß es. Für einen NT nichts besonderes, aber für einen autistischen Menschen wie mich, ohne Körperwahrnehmung, der sonst alles visuell am laufen halten muss, ist das eine Wahnsinnserfahrung. Bis jetzt sind die Pferde auch sehr gut mit meinem oft schon sehr anderem Verhalten klar gekommen. Sie scheinen auch ein sehr gutes Sensing-Vermögen zu haben. Ich merke deutlich, wie viel das Pferd wahrnimmt, von dem, was um uns herum geschieht. Mir geht es nicht anders, aber für mich ist diese Hyper-Wahrnehmung nicht unbedingt von Vorteil, sondern eher eine echte Behinderung. Ich weiß oft nicht, was gerade wichtig ist, weil alles gleichwertig rein kommt. Kleinste Sachen lenken sofort mich ab und es ist schwer die Aufmerksamkeit wieder auf das Wichtige zu lenken und es kostet Energie und Kraft. Aber bin ich bei den Pferden, dann empfinde ich diese hohe Ablenkbarkeit nicht so sehr als Defizit wie bei den Menschen. Das fühlt sich zur Abwechslung auch mal sehr gut an. So wie die Pferde ihre nonverbal Sprache haben, die Monty Roberts Equus nennt, so haben auch autistische Menschen eine besondere Art zu kommunizieren. Verbale Sprache benutze ich, weil ich früh gelernt habe, dass die mich umgebendenen Menschen, meine nonverbale Sprache, Gestik und Mimik nicht nur nicht verstehen, sondern sie gar nicht wahrnehmen. Das war erst ein Schock, dann aber eine sehr hilfreiche Erkenntnis, denn verbale Sprache ist ein sehr praktisches Werkzeug. Die Pferde und ich, Fluchttiere und jeder mit einer nonverbalen Sprache, die gar nicht so verschieden ist. Aber dennoch will ich mehr sein als nur ein Fluchttier, denn ich will nicht nur überleben, sondern leben. Aber genau das kann ich bei ihnen lernen. Also Danke Max, Rudi, Sunny und Bodo. Und großes Danke Andrea Hegewald 

http://www.entspannungstraining-hegewald.de/

Write a comment

Comments: 0